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Technische Avantgarde
Die Automobilfirma Citroën hatte es sich zur Angewohnheit werden lassen,
technisch immer auf dem neuesten Stand zu sein. Das begann schon im
Gründungsjahr 1919, als der Typ A vorgestellt wurde: Er war eines der ersten
Automobile, die mit Karrosserie, Anlasser und elektrischer Beleuchtung
ausgeliefert wurde. Zu der Zeit war es für den Käufer eines Autos normal,
dass er beim Hersteller ein Chassis kaufte und dieses zu einem Carrossier seiner
Wahl brachte, der dann die Karrosserie, meist in Holzbauweise, auf das angelieferte
Chassis baute.
Der Typ A war zudem eines der ersten europäischen Automobile, das am
Fliessband gefertigt wurde, nach dem Muster des berühmten
Ford
Model T (Tin Lizzie).
Mit der Vorstellung des Typs C2 im Jahre 1922 lancierte Citroën eine Art
'Volkswagen'.
Ein kleines Auto, das nicht viel technisches Verständnis voraussetzte, 2
Personen genügend Platz bot und einfach zu fahren war. Das Auto wurde
anfänglich nur in der Farbe Gelb ausgeliefert, seit diesem Zeitpunkt haben
die Citroëns den Uebernamen 'Zitrone'. Uebrigens stellte
Opel
in Deutschland kurz darauf ein Wägelchen vor, das dem C2 wie aus dem Gesicht
geschnitten erschien: den 'Laubfrosch'. Der Name daher, weil dieses Auto nur in
der Farbe Grün erhältlich war.
Bei Citroën setzte sich der Fortschritt 1925 mit Einführung der
'Tout Acier' Karrosserien fort. Als erster Europäischer Hersteller führte
Citroën die Ganzstahlbauweise beim Typ B10 ein, anstatt die Blechplanken auf
einen Eschenrrahmen zu nageln.
1932 führte Citroën mit einem amerikanischen Patent von
Chrysler
die flexible Motoraufhängung ein. Die Motorvibrationen wurden so nicht mehr
direkt auf das Chassis und die Karrosserie übertragen.
Die Geburt der Traction Avant
Im Jahre 1933 war bei Citroën trotz grosser finanzieller Schwierigkeiten der
Bedarf für ein von Grund auf neues Modell gegeben. Es sollte ein revoluti
onäres Auto werden. Das Pflichtenheft schrieb unter anderem folgende Eckdaten
vor: 100km/h Höchstgeschwindigkeit bei 10l/100km Verbrauch, selbsttragende
Karrosserie, Frontantrieb, automatisches Getriebe. Um dieses Vorhaben zu
realisieren, engagierte Citroën André Lefebvre als Ingenieur für
das Projekt. Flamino Bertoni (keine Beziehung zu Bertone, der auch für
Citroën arbeitet) zeichnete für die Gesamtgestaltung verantwortlich.
Bald liefen die ersten Prototypen. Das automatische Getriebe bereitete
Schwierigkeiten, der Rest funktionierte zur Zufriedenheit der Techniker. Der
Termin der Vorstellung war schon festgelegt und sollte nicht verschoben werden.
Also verwarf man das Getriebe und konstruierte innert 3 Wochen ein manuelles 3-Gang
Getriebe mit Rückwärtsgang und Armaturenbrett-Schaltung.
Am 3. März 1934 wurde der Typ 7 (7 deutete auf die Steuer-PS hin und meinte
einen Motor von 1303ccm) den Händlern vorgestellt und löste eine
Sensation aus: selbsttragende Karrosserie, Frontantrieb, unabhängig
aufgehängte Vorderräder, Federung über Torsionsstäbe, nasse,
auswechselbare Zylinderbüchsen, hydraulische Bremsen, frei aufgehängter
Motor usw.. Im Vergleich zu den Autos, die schon auf der Strasse fuhren, erschien
der Typ 7 dank seiner selbsttragenden Bauweise sehr niedrig. Dass er keine
Trittbretter zum Einsteigen benötigte, fiel auf. Die Strassenlage und damit
einhergehend die Umsetzung der zur Verfügung stehenden Pferdestärken
auf die Strasse, wurden als einmalig bezeichnet.
Die Traction Avant in Produktion
Zuvor kurz zum Namen 'Traction Avant'. Er bedeutet nichts anderes als
Vorderradantrieb und wurde von Citroën dazu verwendet, das neue Modell von
den weiterhin produzierten Heckantriebsmodellen mit den gleichen Steuer-PS zu
unterscheiden. Der Volksmund übernahm die Terminologie bald und die Wagen
avancierten zur 'Traction'.
Anfänglich wurde nur die 'kleine' Karrosserie in den Ausführungen
Berline, Cabriolet und Faux Cabriolet hergestellt. Der Motorinhalt wuchs
allmählich auf 1609ccm, was eigentlich einer 9CV entsprechen würde.
Man blieb aber aus werbetechnischen Gründen bei der Bezeichnung 7CV.
Die ersten Limousinen unterscheiden sich äusserlich von den späteren durch
ihr Dach aus Moleskine (man war in der Karrosseriebautechnik noch nicht so weit,
dass man ein Stahldach einschweissen konnte) und dadurch, dass der Kofferraum nur
von innen zugänglich war. Eine grosse Farbenvielfalt zeichnete die
Modellpalette bis 1939 aus. Keine Spur davon, dass alle Tractions schwarz waren.
Zum Pariser Autosalon im Oktober 1934 stellte Citroën dann die grosse
Karrosserie mit 1911ccm Motor vor, den Typ, den wir heute normalerweise als
'Normale' oder 'Large' kennen. Die Karrosserie ist 20cm länger und 12cm
breiter als die kleine, bei sonst weitgehend gleicher technischer Spezifikation.
Die kleine Karrosserie avancierte so zur 'Légère'. Am selben Salon
präsentierte Citroën den Typ 22CV, der mit einem 3,8l 8-Zylindermotor
ausgerüstet war. Nur einige Prototypen wurden gebaut, der Wagen erreichte nie
Serienreife. Heute träumt jeder Tractionist davon, ein solches Auto zu
besitzen, leider ist auf der ganzen Welt kein Originalwagen bekannt.
Die Karrosserie der Large wurde neben den von der Légère
übernommenen Varianten (Berline, Cabriolet und Faux Cabriolet) um die
Varianten 'Conduite Intérieure' und 'Familiale' erweitert. Diese Versionen
hatten einen nochmals um 20cm verlängerten Radstand und ein drittes
Seitenfenster. Die Familiale zeichnete sich durch eine Reihe von Klappsitzen aus,
die sie zum 9-Plätzer machte.
1936 wurde für alle Modelle der von aussen zugängliche Kofferraum,
sowie die Zahnstangenlenkung eingeführt.
1938 sah die Vorstellung des 6-Zylindermodells: dem 1911ccm 4-Zylinder wurden
2 Zylinder angehängt, was einen Hubraum von 2867ccm ergab. Abgeleitet von
den Steuer-PS wurde der Wagen auch 15CV oder 15/6 genannt. Bald eilte der
6-Zylinder Version der Ruf 'Reine de la Route' (Königin der Landstrasse)
voraus. Im selben Jahr wurde auch die heute äusserst seltene 11CV
'Commerciale' vorgestellt: Sie fiel äusserlich vor allem durch eine
zweigeteilte Heckklappe auf, die das Auto für den Kleinunternehmer als
Tranportfahrzeug interessant machte.
Während des 2. Weltkrieges waren die Citroën Traction Avant bei der
Französischen Widerstandsbewegeung sehr beliebt wegen ihrer Wendigkeit und
Strassenlage. Darum ist es heute relativ schwierig, eine Vorkriegstraction in
einigermassen gutem Zustand zu finden. Die meisten wurden zum Wohl des
Französischen Volkes zuschande geritten.
Während des Krieges schlief die Autoproduktion bei Citroën beinahe.
Solange es ging, produzierte man für die Französische Armee (auch
viele Nutzfahrzeuge), während der Deutschen Besetzung, wurde Kriegsmaterial
für die Achsenmächte gefertigt.
1946 wurde nach dem Wiederaufbau der Fabrik die Fertigung langsam wieder aufgenommen.
Die 'Luxuskarrosserien' Cabriolet und Faux Cabriolet strich man aus dem Programm.
Pneus auf den Rädern waren aufpreispflichtig! Nur 3 verschiedene Modelle
konnten gebaut werden, und auch diese nur in der Einheitsfarbe 'fastschwarz': die
11CV Légère, die 11CV Normale (Large) und die 15/6.
Das blieb so bis 1952 (ausser, dass man schon vorher richtiges Schwarz
liefern konnte). In diesem Jahr wurde die Modellreihe modernisiert: sie erhielt
einen richtigen Kofferraum, wie ihn die anderen Autos schon lange hatten.
1954 wurde die Farbpalette sogar wieder vergrössert: gris perle und bleu
R.A.F hielten Einzug. Zudem wurden 2 Vorkriegskarrosserien wieder in die
Modellreihe aufgenommen: für die 11CV Normale die Varianten Familiale und
Commerciale (ab jetzt aber mit einteiliger Heckklappe), für die 15/6 die
Version Familiale.
Mit einer Variante der 15/6 zeichnete sich auch ab, dass Citroën fieberhaft
an einem ganz neuen Modell arbeitete: der 6 Zylinder ist in einer Version
'Hydraulique', mit hydraulisch gefederter Hinterachse lieferbar. Die
Citroën DS
zeigte sich langsam am Horizont!
Zum Pariser Salon im Oktober wurde dann die DS auch wirklich dem Publikum
präsentiert. Die Produktion der 15/6 wurde schon vorher eingestellt.
Der letzte Citroën der Traction Avant Baureihe, eine Familiale, lief am
25. Juli 1957 vom Band, ohne grosses Aufhebens, schliesslich war das Modell
ja ziemlich aus der Mode.
Produktionszahlen
|
1934-1944
|
7CV
|
11 Légère
|
11 Normale
|
15/6
|
81'295
|
105'109
|
53'856
|
2'424
|
1945-1957
|
-
|
219'719
|
193'311
|
45'247
|
Gesamthaft, inklusive der Produktionsstätten
Forest (Belgien) und Slough (Grossbritannien):
759'111 .
|
Thalwil, den 26. Dezember 1995, Andreas Rutishauser
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